Leipzig. Operieren statt Insulin spritzen: Übergewichtigen Patienten mit einem "Body Mass Index" (BMI) von 40 oder höher, die gleichzeitig an einer Typ 2-Diabetes leiden, wird zukünftig eine sofortige Operation empfohlen, weil konservative Therapien in diesen Fällen nicht zu einer Reduzierung des Risikos von Schlaganfällen und Herzinfarkten führen und eine nachhaltige Gewichtsreduktion meist nicht erreicht wird. Dieser metabolische Chirurgie genannte Eingriff ist einer der Kernpunkte der neuen S3-Leitlinie "Chirurgische Therapie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen". Über zwei Jahre haben Ärzte, Patientenvertreter und Selbsthilfegruppen aus ganz Deutschland daran gearbeitet. Geleitet hat diese Kommission Prof. Arne Dietrich, Geschäftsführender Direktor der Klinik und Poliklinik für Viszeral-, Transplantations-, Thorax- und Gefäßchirurgie am UKL.
Gemeinsam mit Dr. Tatjana Schütz vom IFB AdipositasErkrankungen gestaltete er die neue Leitlinie der Deutschen Adipositas-Gesellschaft somit maßgeblich mit. Sie stellt ein Instrument dar, die Behandlung von Adipositas und metabolischen Erkrankungen zu optimieren. Allgemein gelten Leitlinien als wissenschaftlich fundierte, praxisorientierte Handlungsempfehlungen, sind jedoch keine gesetzlichen Regelungen.
Erstmals wird hier nun zwischen der klassischen Adipositas-Chirurgie und der metabolischen Chirurgie unterschieden. Auch bei ersterer setzt das Papier nun viel eindeutigere Formulierungen als früher. Bei Patienten mit einem BMI von mehr als 50 soll von nun an sofort über eine OP nachgedacht werden, da konservative Therapien in diesem hohen BMI-Bereich kaum Erfolgsaussichten haben. "Operationen zeigen nachhaltig guten Erfolg, vor allem was Langzeitüberleben und Lebensqualität betrifft", sagt Prof. Dietrich, "Diät und Sport, was natürlich jeder Übergewichtige oder Adipöse zuerst versuchen sollte, führen nur extrem selten zu einem bleibendem Erfolg im BMI-Bereich über 50."
Adipositas sei heute eine von der Weltgesundheitsorganisation WHO anerkannte Krankheit mit komplexen Ursachen, betont der UKL-Experte. Es liege nicht einfach nur an falscher Ernährung.
Gleichwohl sei Essen weiterhin "ein Mittel zum Glücklich sein", Lebensmittel seien hierzulande überall und preiswert zu haben. "Adipositas - davon spricht man ab einem BMI von 30 - kann man leider zu oft nicht einfach durch eine reine Änderung des Lebensstils rückgängig machen", hebt Prof. Dietrich hervor.
Ziel aller Operationen, so steht es in der neuen Leitlinie, sei nicht primär die Gewichtsreduktion, sondern ebenso ein verbesserter Gesundheitszustand, höhere Lebensqualität und Lebenserwartung - erreicht über die Gewichtsreduktion.
Das Körpergewicht der Menschen in den westlichen und Schwellenländern stieg in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich an. Adipositas geht oft mit einer Reihe bedeutsamer Erkrankungen einher, wie zum Beispiel Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck, Asthma, Schlafapnoesyndrom, bestimmte Krebsarten oder Lebererkrankungen. Sie reduziert bemerkbar die Lebenserwartung.
"Die Zahl adipositas-chirurgischer Eingriffe ist in den vergangenen Jahren auch in Deutschland gestiegen. Dazu beigetragen haben unter anderem neue Techniken, eine enorme Zunahme wissenschaftlicher Studien und die Erkenntnis, dass eine nachhaltige Gewichtsreduktion bei einem BMI von mehr als 40 bei der Mehrheit der Betroffenen nur durch einen chirurgischen Eingriff erreicht werden kann", erklärt Prof. Dietrich.
Die komplette S3-Leitlinie im Netz:
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/088-001.html