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Krebs im jungen Erwachsenenalter – Fortsetzung der AYA-LE Längsschnittstudie

​Leitung:
​​Dr. rer. med. Kristin​a Geue
Dipl.-Psych. Katja Leuteritz
Prof. Dr. Anja Mehnert-Theuerkauf

​Beteiligte Wissenschaftler:
Hannah Brock, M.Sc.
Michael Friedrich, M.A. (Soziologie)

Projektbeschreibung:
Ziel des Forschungsprojektes war es, zum einen die Lebenszufriedenheit und das psychische Befinden zu zwei weiteren Messzeitpunkten (t5 und t6) darzustellen. Ferner standen in diesem Forschungsprojekt die Copingstrategien und Resilienz sowie die sozialen Beziehungen der jungen Erwachsenen mit einer Krebserkrankung im Fokus. Mittels der Daten sollten Risikogruppen bestimmt, zielgruppenspezifische Charakteristika benannt und Konzepte für zielgruppenspezifische niedrigschwellige Intervention erarbeitet werden. Die Datengenerierung erfolgte mittels quantitativer Befragung zu zwei Messzeitpunkten (t5 rund 75 Monate nach Krebsdiagnose und t6 12 Monate nach t5). Von den 577 t1-Teil­neh­menden schieden bis zum Erhebungs-zeitpunkt t6 40.9% (N=236) aus der Studie aus. Somit lagen zu t6 N=341 komplette Datensätze für die Auswertungen vor.

Folgende Ergebnisse sind besonders relevant: 

Lebenszufriedenheit und psychisches Befinden
Unter Betrachtung aller sechs Messzeitpunkte der AYA-LE Längsschnittstudie, konnten wir feststellen, dass sich die Gesamtlebenszufriedenheit zwischen t1 und t4 leicht verbesserte. Zu t5 und t6 ist sie allerdings wieder gesunken. Die Studienteil-nehmenden gaben zu t6 eine höhere Gesamtlebenszufriedenheit an, wenn sie aktuell in einer Partnerschaft waren, über ein höheres Netto-Haushaltseinkommen verfügten und eine niedrigere Depressivität oder emotionale Fatigue berichteten.

Sowohl zu t1 als auch zu t6 berichten über 40% der Betroffenen klinisch auffällige Ängstlichkeitswerte. Der Anteil der Studienteilnehmenden mit erhöhter Depressivität stieg von t1 zu t6 signifikant um knapp 8%, obwohl von t1 zu t4 zunächst eine leichte Verringerung der Depressivität beobachtet werden konnte. Ebenso stieg der Anteil von Studienteilnehmenden mit einer Fatigue-Symptomatik im klinisch relevanten Bereich von t1 zu t6 signifikant um knapp 7%. Die Krankheitsmühe verringerte sich von t1 zu t6. Aber auch hier muss in Anbetracht der längsschnittlichen Entwicklung ergänzt werden, dass die Krankheitsmühe zu t5 erstmalig wieder anstieg.

Diese Veränderungen sind jedoch als klein einzustufen. Deskriptiv betrachtet, sind die Daten demnach über alle sechs Messzeitpunkte relativ stabil mit einer leichten Verschlechterung der Lebenszufriedenheit und des psychischen Befindens zu t5 und t6.

Neben den potenziell langfristigen körperlichen und psychosozialen Folgen der Krebserkrankung und -therapie müssen die aktuell beobachteten Verluste allerdings auch vor dem Hintergrund der pandemiebedingten Lebenseinschränkungen der Bevölkerung durch COVID-19 (Coronavirus SARS-CoV-2) betrachtet werden. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens führten seit Anfang 2020 (Beginn der t5-Erhebung) landesweit zu massiven Veränderungen und Einschränkungen des alltäglichen Lebens. Die pandemiebedingten Belastungen der Studienteilnehmenden waren im Bereich des sozialen Lebens und der seelischen Gesundheit am höchsten, weshalb die Auswirkungen der Pandemie bei der Interpretation der Ergebnisse nicht vernachlässigt werden können. Wir gehen davon aus, dass Betroffene mit hohem Unterstützungsbedarf zu t1 auch langfristige Defizite in der Lebenszufriedenheit und dem psychischen Befinden aufweisen.

Die längsschnittlich stabile Lebenszufriedenheit von AYA im mittleren oberen Bereich kann möglicherweise mit einer Prioritätenverschiebung infolge der Krebserkrankung und Dankbarkeit, die langwierige Behandlung überstanden und abgeschlossen zu haben, erklärt werden. Die anhaltenden psychischen Belastungen im Mittel sieben Jahre nach Diagnosemitteilung deuten jedoch auch auf einen langfristig stabilen Unterstützungsbedarf hin bei über 40% der jungen Erwachsenen mit einer Krebserkrankung im Hinblick auf die Reduktion von Ängstlichkeit. Dem stabil vorhandenen Unterstützungsbedarf von AYA ist insbesondere in Krisenzeiten mittels geeigneter niedrigschwelliger Versorgungsangebote zu begegnen.

Copingstrategien und Resilienz
Im Fokus der t5-Befragung standen die Copingstrategien sowie die Resilienz von AYA. Die Studienteilnehmenden berichten zu t5 eine mittlere bis hohe Selbst-wirksamkeit und damit ein stabiles Vertrauen in das eigene Bewältigungsverhalten. Die Selbstwirksamkeitserwartung der Betroffenen war vergleichbar mit der von jungen Erwachsenen aus der Allgemeinbevölkerung. Zu den am häufigsten angewendeten krankheitsbezogenen Copingstrategien gehörten das aktive problemorientierte Coping (z. B. Informationssuche) sowie Ablenkung und Selbstaufbau. Die psychische Widerstandsfähigkeit (Resilienz) angesichts von Belastungen und riskanten Lebensbedingungen lag im oberen mittleren Bereich, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass AYA über verschiedene Fähigkeiten zur Bewältigung von Belastungen verfügen. Insgesamt weisen die Studienteilnehmenden damit zu t5 mehrheitlich mittlere bis hohe Ressourcen in den Bereichen Coping, Krankheitsbewältigung und Resilienz auf.

Ein hoher Interventionsbedarf zeigte sich allerdings hinsichtlich der Gesundheits-kompetenz von AYA zu t5. Etwa 70% gaben eine problematische bis inadäquate Gesundheitskompetenz an und erleben daher große Schwierigkeiten einfachen Zugang zu Gesundheitsinformationen zu erhalten, sowie diese zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden.

​Soziale Beziehungen
Die t6-Befragung fokussierte sich speziell auf die sozialen Beziehungen von AYA, wie z. B. Partnerschaft und Sexualität, Stigmatisierung im beruflichen und persönlichen Umfeld sowie die Beziehung zu den behandelnden Ärzt:innen in der Nachsorge.

Zu t6 waren 81% der Studienteilnehmenden in einer Partnerschaft. Deren subjektiv berichtete Partnerschaftsqualität lag auf allen Skalen (Streitverhalten, Zärtlichkeit und Gemeinsamkeit/Kommunikation, Gesamtskala) im durchschnittlichen bis oberen Bereich und ist mit der Partnerschaftsqualität der jungen Erwachsenen in der Bevölkerung vergleichbar. Die Mehrheit der AYA ist darüber hinaus mit der eigenen körperlichen Attraktivität, der sexuellen Leistungsfähigkeit sowie den sexuellen Kontakten und Reaktionen zufrieden. Etwa jeder Dritte gab jedoch eine sexuelle Unzufriedenheit insbesondere in Bezug auf die eigene körperliche Attraktivität und die Häufigkeit der sexuellen Kontakte an.

Hinsichtlich der Stigmatisierung als Krebspatient:in gaben 99% der AYA an, sich im beruflichen oder persönlichen Umfeld nicht aufgrund der Krebsdiagnose, die durchschnittlich sieben Jahre zurückliegt, diskriminiert zu fühlen. Etwa 12% der Befragten waren derzeit von einer Arbeitsplatzgefährdung oder finanziellen Schwierigkeiten betroffen, die mit der Erkrankung zusammenhängen. Das subjektive Ausmaß der Internalisierung stigmatisierender Erfahrung und die empfundene soziale Isolation sind als sehr gering einzuschätzen. Die Mehrheit der Studienteilnehmenden (95%) gab an, keine beschämenden Situationen aufgrund der Erkrankung erleben zu müssen.

Die Qualität der Arzt-Patient-Beziehung lag durchschnittlich auf allen Skalen (Information, Kommunikation, Affektivität, Gesamtskala) im oberen Bereich. Dies spricht für eine qualitativ hochwertige Beziehung der AYA zu ihren behandelnden Ärzt:innen im Rahmen der Nachsorge. Zum Aufbau einer solchen Beziehung können die regelmäßigen Kontakte während und nach Abschluss der Krebstherapie beigetragen haben. Die vertrauensvolle Bindung ist einerseits durch Informations-vermittlung, aktive Gesprächsteilnahme und die Möglichkeit über sensible Themen zu sprechen gekennzeichnet sowie anderseits auch durch Unterstützung, Verständnis und Empathie.​

Kontakt:
Hannah Brock, M.Sc. Psychologin
E-Mail: hannah.brock@medizin.uni-leipzig.de  

Förderung:
Deutsche Krebshilfe

Projektnummer:
933000-183

Laufzeit:
7/2020 – 3/2022

Philipp-Rosenthal-Str. 55, Haus W
04103 Leipzig
Chefsekretariat:
0341 - 97 18800
Wiss. Sekretariat:
0341 - 97 18803
Fax:
0341 - 97 15419
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