Was essen Kinder in der Schulzeit? Wer nutzt die Schulkantine und wer kauft sich vom Taschengeld das Mittagessen im nahegelegenen Supermarkt? Die Antworten darauf kennen Forscher des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen der Universitätsmedizin Leipzig. Sie untersuchten das Ernährungsverhalten von über 1200 Kindern an Leipziger Schulen, um Rückschlüsse auf die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas zu ziehen. Die Leipziger Schulernährungsstudie steht nun kurz vor dem Abschluss, erste Ergebnisse liegen vor.
Krankhaftes Übergewicht kennt viele Ursachen: Neben genetischen und biologischen Faktoren spielt auch die Umwelt eine Rolle, etwa das soziale Milieu oder bei Kindern auch die Schulumgebung. „Da wir die soziale Herkunft von Kindern nicht ändern können, fokussieren wir uns auf die Verhältnisse der Ernährungsumwelt im Schulkontext. Das Erkennen veränderbarer Einflüsse ist wichtig um eine gesundheitsförderliche Lebenswelt in Schulen für alle Kinder zu gestalten“, sagt Dr. Tobias Lipek, Leiter der Leipziger Schulernährungsstudie. „Unsere Hypothese lautete, dass auch die Ernährung ohne Eltern in der Schule einen Einfluss auf das Gewicht und die Gesundheit der Kinder haben kann.“
Kartiert, befragt, vermessen, analysiert
Dazu untersuchten die Wissenschaftler 1215 Kinder an 41 Leipziger Schulen. An Grundschulen und weiterführenden Schulen nahmen Schüler der Klassen 4 sowie 6, 7 und 8 teil. Das Hauptuntersuchungsgebiet bildete der Stadtteil Grünau mit einer hohen Adipositas-prävalenz unter den Kindern. Als Kontrastgebiet zogen die Forscher Schleußig und die Südvorstadt heran, als Kontrollgebiet dienten Schulen in Schönefeld, Paunsdorf und Mockau Nord. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich vom Sommer 2018 bis zum Sommer 2019. Die Kinder wurden gewogen und vermessen und machten in einem Fragebogen Angaben, wie und was sie essen, ob sie an der Schulspeisung teilnehmen, wie viel Taschengeld sie bekommen und wofür sie es ausgeben. Parallel wurden auch die Eltern der Kinder dazu befragt. Weiterhin analysierten die Wissenschaftler die Speisepläne der Schulessensanbieter und erstellten für jede Schule eine Karte mit allen Lebensmittelläden im Umkreis von 800 Metern. Hier sollten die Kinder einzeichnen, wo sie gelegentlich oder häufig Lebensmittel während der Schulzeit einkaufen und welche. Ein standardisierter Aufmerksamkeitstest rundete die Untersuchung ab.
Ergebnisse: 67 Prozent nutzen die Schulkantine
Die Auswertung der Studie zeigt, dass rund 12 Prozent der Kinder übergewichtig oder adipös sind. Dieser Wert deckt sich mit den Erkenntnissen anderer deutschlandweiter Studien. 67 Prozent der Schüler gehen regelmäßig in die Schulspeisung. „Die absoluten Zahlen zeigen, dass unter den Schülern, die regelmäßig in der Schulkantine essen, weniger übergewichtige Kinder sind als unter denen, die nicht teilnehmen. Wir konnten hier die Tendenz, keine statistische Signifikanz aufzeigen: Wer nicht an der Schulversorgung teilnimmt, hat eine höhere Chance übergewichtig zu werden oder anders herum gesehen nehmen übergewichtige Kinder seltener an der Schulspeisung teil“, sagt Peggy Ober, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Koordinatorin des Projekts. Bezüglich des Speiseplans stellten die Forscher fest, dass sechs von zehn Anbietern mindestens 60 Prozent der Qualitätskriterien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung erfüllen. Diese sind zwar nicht verpflichtend, aber ein Anhaltspunkt für ein ausgewogenes Angebot. Die Schüler wählten im Mittel zu selten Menüs mit Vollkornprodukten, Gemüse und Fisch sowie zu viele Fleischgerichte. Bei süßen Hauptgerichten und frittierten oder panierten Produkten hielten sie die empfohlenen Mengen ein. „Die Defizite hatten wir auch nicht anders erwartet. Im Gegenteil, wir hätten für einige Komponenten noch schlechtere Ergebnisse vermutet“, so Ober. Die Analyse zeigt zudem, dass die Qualität des Essens vom Preis abhängig ist.
Hat das Frühstück einen Einfluss auf die Aufmerksamkeit?
Der Aufmerksamkeitstest sollte zeigen, ob ein vorher eingenommenes Frühstück die Leistungen in der Schule verbessert. Die Daten der Studie konnten hier keinen Effekt zeigen. Rund neun Prozent der Kinder essen meistens kein Frühstück an Schultagen, knapp sechs Prozent essen es nie. „Wir haben gesehen, dass der Anteil übergewichtiger Schüler unter den nicht frühstückenden höher war. Unsere Querschnittsstudie kann allerdings keine Aussagen darüber treffen, was Ursache und was Folge ist. Wir können nur den Zusammenhang darstellen“, sagt Peggy Ober.
78 Prozent der Schüler bekommen Taschengeld
Laut den Ergebnissen der Studie verfügen die Leipziger Schüler im Schnitt über 15,37 Euro Taschengeld im Monat. „Unsere Zahlen zeigen, dass die Schüler, denen viel Taschengeld zur Verfügung steht, häufiger in die umliegenden Geschäfte gehen und Lebensmittel kaufen“, sagt Dr. Tobias Lipek. Zugleich ist eine Tendenz zu beobachten: Kinder, die nicht an der Schulverpflegung teilnehmen, sind häufiger „oft“ in Läden in der Nähe der Schule gegangen. Da Kinder dazu neigen, in Supermärkten und Fast-food-Läden eher ungesunde Waren zu kaufen, schlussfolgern die Forscher, dass eine bessere Akzeptanz und höhere Teilnahme am Schulessen zu einer verbesserten Kindergesundheit beitragen könnte.
Auf der Datengrundlage dieser Studie aufbauend soll sich eine Interventionsstudie anschließen. Denkbar wäre beispielsweise den Einfluss eines Frühstückangebots für alle Kinder in der Schule auf Übergewicht und Adipositas zu untersuchen oder verschiedene Maßnahmen zur Qualitäts- und Akzeptanzverbesserung der Schulspeisung zu testen. Die Leipziger Schulernährungsstudie ist ein Forschungsprojekt des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig und des Universitätsklinikums Leipzig und wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finanziert. Kooperationspartner der Studie sind die Projekte Grünau bewegt sich, CrescNet sowie die LIFE-Child Studie.