Sie behandeln die kritischen Fälle: eine Ärztin und eine Intensivpflegekraft berichten von ihrem Arbeitsalltag.
Dr. Cindy Herchenhahn ist Fachärztin
für Anästhesiologie. Seit 2014 arbeitet
sie in der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie des
Universitätsklinikums Leipzig (UKL).
Madlen Bühler ist seit fast 20 Jahren als
ITS-Schwester am UKL tätig. Beide
arbeiten auf der Station IOI-C, einer der
Interdisziplinären Operativen Intensivstationen des UKL – und der Bereich,
in dem COVID-19-Patienten behandelt
werden, oft in kritischem Zustand.
Auf ihre medizinischen und pflegerischen
Fähigkeiten kommt es derzeit an,
ob und wie
gut Patienten die durch das Coronavirus auf
der gesamten Welt ausgelöste Krankheit
überstehen. Am UKL waren Anfang November bereits mehr COVID-19-Patienten in
stationärer Behandlung, als es in der ersten
Welle im Frühjahr jemals waren. Und mit
dem Plus an Patienten stieg die Arbeitsbelastung für alle in diesem Bereich Tätigen.
Stellvertretend für ihre Kolleginnen und
Kollegen auf den ITS geben Dr. Herchenhahn und Schwester Madlen einen kleinen
Einblick in ihren Arbeitsalltag unter Corona-Bedingungen und blicken auf die vergangenen Monate zurück:
Madlen Bühler: Vergleicht man die Situation jetzt mit der im Frühjahr, ist nun einiges
anders. Zwar war es damals auch anstrengend, aber insgesamt doch recht entspannt.
Jetzt gibt es deutlich mehr und intensivmedizinisch aufwendigere Patienten.
Dr. Cindy Herchenhahn: Gerade sind wir
hier auf der IOI-C ein eingespieltes Team,
das macht vieles leichter, schließlich arbeiten wir jetzt fast dauerhaft an den sogenannten „Lungenversagern“. Permanenten
Druck und hohe Arbeitsbelastung kennen
zwar auch normale Intensivstationen, aber
dort liegen in der Regel weniger Patienten
mit akutem Lungenversagen. Wir hingegen
haben hier gerade zwölf oder 13.
Die intensivmedizinische Behandlung von
COVID-19-Patienten ist körperlich recht anstrengend. Umso mehr ist die emotionale
Belastung zusätzlich zu spüren.
Sofern es bei Patienten noch nicht notwendig geworden ist, sie invasiv zu beatmen,
müssen sie bei einer COVID-19-Pneumonie in der Regel jedoch nicht-invasiv beatmet werden und das teilweise über mehrere
Stunden hinweg. Das bedeutet für die
Patienten Stress und ist für uns dadurch
wirklich keine einfache Angelegenheit, das
übernehmen zum großen Teil unsere Pflegekräfte.
Madlen Bühler: Wir tun ja alles, um unseren
Patienten die invasive Beatmung zu ersparen, aber das ist zum Teil auch anstrengend
für diese Patienten. Weil wir ihnen etwas
Gutes tun wollen, müssen wir sie sozusagen
auch mal ein wenig „quälen“. Doch ihnen
das zu vermitteln, ist oft sehr schwierig und
kann frustrierend sein.
Dr. Cindy Herchenhahn: Im Vergleich
zum Frühjahr zählen wir nun viel mehr
Patienten. Mehr Patienten bedeutet für uns
auch höherer Aufwand. Damals im März,
April waren es maximal sieben COVID-19-Patienten gewesen. Da sind wir gerade
schon deutlich drüber. Viele Betroffene
werden zu den sogenannten Langliegern
zählen, die wir über mehrere Wochen behandeln. Dadurch wechseln die Gesichter
unserer Patienten gar nicht so häufig.
Madlen Bühler: Körperlich ist die Behandlung von COVID-19-Patienten nicht
schwieriger als anderer Intensivpatienten,
doch die Anzahl der Patienten und die
Erkrankungsschwere führt zu einem Mehr an körperlicher und psychischer Belastung.
Wir müssen die Patienten immer wieder
motivieren, bei ihrer Genesung auch selbst
mitzuhelfen und zu kämpfen. Nicht selten
erfahren wir dabei Ablehnung und Aggressionen.
Geht es bei der Genesung eines Patienten
an einem Tag einen Schritt vorwärts,
kommt man tags darauf zur Arbeit und
sieht, dass er doch wieder drei Schritte
zurückgefallen ist. Das macht es wirklich
anstrengend.
Doch nach 20 Jahren Arbeit auf einer Intensivstation nehme ich nur wenige der Sorgen
und Geschehnisse nach Dienstschluss mit
nach Hause.
Dr. Cindy Herchenhahn: Ich tausche mich
privat aus über die Arbeit, aber meist mit
Menschen, die auch im medizinischen
Bereich tätig sind. Während der Arbeitszeit
finde ich nur selten Gelegenheit, über einzelne Situationen wirklich mal in Ruhe
nachdenken oder mich darüber mit Kollegen austauschen zu können.
Madlen Bühler: Was schon im Frühjahr
sehr gut geklappt hat, war die Zusammenarbeit zwischen der Pflege und den Ärzten.
Diese haben uns immer geholfen, wenn es
notwendig war. Das ist ein großartiges Miteinander.
Dr. Cindy Herchenhahn: Wir als Ärzte
sind an ständige Flexibilität gewöhnt, wir
müssen uns immer schnell an wechselnde
Situationen anpassen. Auch jetzt ändern sich unsere Dienstpläne sehr oft, das ist
sowohl eine organisatorische Herausforderung für unsere Dienstplanverantwortlichen als auch für die komplette Belegschaft.
Doch hier auf dieser Station haben wir nun
ein eingespieltes Team, man kennt sich,
kann sich aufeinander verlassen und auch
mal Aufgaben abgeben. Das gibt einem ein
gewisses Maß an Sicherheit,weil man weiß,
die Patienten sind gut versorgt.
Als zusätzliche Aufgabe bleibt die Einarbeitung weiterer Kollegen. Falls sich die Situation verschärft und mehr Patienten eingeliefert werden, sollen diese Kollegen möglichst
nicht ins kalte Wasser geworfen werden,
wenn sie dann gebraucht werden.
In der ersten Welle im März und April gab
es auch mal eine Phase, da bin ich, ehrlich
gesagt, nur mit einem unguten Gefühl auf
Arbeit gegangen. Doch nicht das Medizinische war das Problem, sondern die vielen
organisatorischen Herausforderungen und
die unzähligen täglichenAnpassungen und
Änderungen der Abläufe. Das fühlt sich
jetzt zum Glück anders an.
Madlen Bühler: Es gibt auch schöne
Momente. So ist es ein besonderes Gefühl,
Patienten auf die Normalstation fahren zu
können. Die sind dann so glücklich, freuen
sich auf ein Zimmer mit nur zwei Betten,
einem Fenster mit Tageslicht und einem
eigenen Bad.
Dr. Cindy Herchenhahn: Auch mich als
Ärztin baut es auf, wenn wir Patienten wieder von der Intensivstation verlegen können und dann die Angehörigen über diese
frohe Kunde zu informieren. Hin und
wieder bekommen wir auch Nachrichten
und Fotos von genesenen Patienten, wie sie
ihr Leben wieder genießen können. Daran
halten wir uns in schwierigen Momenten
fest, dafür lohnt es sich, das sind Erfolgsmomente.
Madlen Bühler: Es ist wahnsinnig anstrengend und vieles ärgert mich. Frustrierend
ist es, wenn uns die Menschen von Zeit zu
Zeit auch mal berichten,wie und warum sie
sich aus Sorglosigkeit oder sogar Ignoranz
infiziert haben. Aber diese Arbeit gibt auch
so viel zurück,dass ich sie immer noch gerne
mache. Und das lasse ich mir von Corona
auch nicht kaputt machen.
Dr. Cindy Herchenhahn: Wir in der Kollegenschaft versuchen immer, uns selbst
bestmöglich zu schützen und gesund zu
bleiben, um möglichst nicht krank zu werden und auszufallen.
Viele Menschen, die nicht im medizinischen
Bereich tätig sind, können sich sehr schwer
vorstellen, was es bedeutet, aufgrund einer
Lungenerkrankung intensivmedizinisch betreut werden zu müssen. Man sollte nicht
vergessen, wir hatten auch schon Patienten,
die jünger als 40 Jahre waren, und auch diese
kann es schlimm treffen.