Dr. Armin Frille und Schwester Pauline Becker erzählen von der Arbeit auf der Covid-19-Normalstation G 2.2.
Auf der Covid-19-Normalstation
G 2.2 herrscht reger Betrieb. Dr. Armin
Frille und Schwester Pauline Becker
können sich mal kurz ausklinken und
erzählen,wie es derzeit läuft, was jetzt,
im Herbst des Jahres 2020, im Vergleich zum Frühjahr anders ist, wo
Probleme liegen und was sie bisher
erlebt haben. Der 37-jährige Facharzt
für Innere Medizin ist seit acht Jahren
am Universitätsklinikum, die 24-jährige Gesundheits- und Krankenpflegerin hat nach der Ausbildung an der
Medizinischen Berufsfachschule Leipzig
vor fünf Jahren in der Pneumologie
angefangen.
Dr. Armin Frille: Wir haben heute, am
16. November, genau 17 COVID-19-
Patienten auf unserer Station. Maximal 31
könnten es derzeit sein; für diese Zahl würden die Betten reichen, ohne dass auf benachbarte Stationen ausgewichen werden
muss. Unter der ärztlichen Leitung von
Prof. Dr. Wirtz und Oberärztin Dr. Alexandra
Wald betreuen neun Ärzte aus acht Fachbereichen – Pneumologie, Kardiologie, Gastroenterologie, Hämatologie, Onkologie,
Infektiologie, Endokrinologie und Angiologie – interdisziplinär unsere Patienten,
die ja nicht immer unmittelbar, aber eben
potenziell in Lebensgefahr sind. Bei den
meisten geht es um die Erhaltung der Funktion der Lunge, sprich Gasaustausch. Wir
haben da gute Erfahrungen gemacht mit
der nichtinvasiven Beatmung. Wird sie zur
richtigen Zeit eingesetzt, kann sie dem
Patienten die Intubation ersparen.
Schwester Pauline: Ich habe fünf Jahre
Erfahrungen mit Pulmologie-Patienten.
Aber jetzt in Corona-Zeiten lerne ich vieles
hinzu. Ich weiß: Wenn die Luft knapper
wird,werden die Patienten ganz schnell panisch. Man muss deshalb eine Verschlechterung bei der Atmung möglichst schnell
erkennen, um zu helfen. Jetzt bei den Corona-Patienten geht es manchmal so schnell
mit der Verschlechterung – das habe ich zuvor nie erlebt.Man muss viel aufmerksamer
auf das Krankenbild insgesamt sehen, um
eine Eskalation zu verhindern.
Dr. Armin Frille: Die Patienten kommen
meist aus einem Pflegeheim oder von zu
Hause mit entsprechendem Pflegebedarf.
Andere werden aus einem anderen Krankenhaus zu uns verlegt, da wir Zentrum
für COVID-19-Patienten sind. Zudem liegen bei uns Patienten, die nach einer
intensivmedizinischen Behandlung soweit
wiederhergestellt sind, dass sie auf unserer
Normalstation behandelt werden können,
oder auch Patienten, die zur Behandlung in
einen Fachbereich kamen und bei denen
sozusagen nebenbei eine COVID-19-Infektion festgestellt wurde. Beispielsweise
war ein Patient zu einem Eingriff in die Gefäßchirurgie gekommen. Beim obligatorischen Test wurde eine COVID-19-Infektion festgestellt – deshalb kam er dann zu
uns. Und da wir hier auch einen Angiologen haben, ist der Patient sowohl mit Blick
auf seine Lungenerkrankung als auch auf
sein Gefäßleiden in guten Händen.
Schwester Pauline: Was ich noch bei den
Corona-Patienten gesehen habe und was
mich total schockiert hat: Manche kommen
wesensverändert oder verwirrt zu uns. Bei
manchen dachte ich, dass sie dement sind.
Dann wurden sie behandelt und die Genesung setzte ein – und die Verwirrtheit löste
sich. Das hat mich sehr beeindruckt.
Dr. Armin Frille: Wir müssen durch die
Vielseitigkeit der Erkrankungen unserer
Patienten mit vielen Fachabteilungen reden.
Zusammen arbeiten wie bisher geht ja nicht,
da wir uns vorsichtshalber abgeschottet haben vom Klinikum. Das Spektrum der
Herausforderungen reicht neben dem schon
erwähnten Gefäß-OP-Fall über Schlaganfall
bis zur Betreuung einer Wöchnerin. Sie hat
vor ein paar Tagen im Klinikum ein Kind
bekommen. Da bei ihr eine COVID-19-
Infektion gefunden wurde, durfte sie nicht
auf die Wochenstation, sondern kam mit
ihrem Kind zu uns. Beiden geht es gut. Die
Mutter wird nach der Entlassung daheim in
Quarantäne bleiben müssen.
Schwester Pauline: Wir sind als Pflegekräfte ein kleines Team, und eigentlich viel
zu wenige. Früh- und Spätschicht jeweils
vier, nachts zwei. Und dies bei einem sehr
hohen Pflegeaufwand, der besonders bei
den Patienten notwendig ist, die aus dem
Pflegeheim kommen. Aber wir haben uns
damals bei der Berufswahl und bei der Jobsuche der Aufgabe gestellt, für die Patienten
da zu sein. Ich habe jetzt eigentlich Urlaub,
habe aber der Pflegeleitung gesagt, wenn es personell eng wird, sollen sie anrufen. Der
Anruf kam und jetzt bin ich wieder hier
und arbeite. Und nicht nur ich. Auch die
30-Stunden-Kräfte kommen zusätzlich rein,
damit alles läuft.
Dr. Armin Frille: Wenn wir einen Patienten entlassen,wollen wir sicher sein, dass es
eine häusliche Betreuung gibt. Man kann
ihn ja nicht einfach ins Nichts schicken. Es
ist eine große Aufgabe für unseren Sozialdienst und das Patientenmanagement sicherzustellen, dass jeder Patient, der das Klinikum verlässt, umsorgt wird. Das klappt
nicht immer reibungslos, sodass ein Patient, bei dem keine medizinische Behandlung mehr nötig ist, dessen COVID-19-
Infektion aber noch aktiv ist, zur Not weiter
bei uns bleibt – bis klar ist,wie er danach betreut wird.
Schwester Pauline: Wenn man täglich mit
Corona-Patienten zu tun hat – und bei uns
sind ja nicht einmal die schwersten Fälle –
dann kann man nicht verstehen,wie manche
leugnen, dass es die Krankheit überhaupt
gibt, oder sagen, dass sie nicht besonders
schlimm ist. Kein Verständnis habe ich auch
für diejenigen, die die Aufforderungen zur
Kontaktvermeidung ignorieren und weiter Party machen wollen. Die sollten sich mal
hier ansehen, was passieren kann.
Dr. Armin Frille: Im Vergleich zur ersten
Corona-Welle im Frühjahr haben wir
jetzt deutlich mehr Fälle. Zudem lassen
sich beim Alter der Patienten heute zwei
Spitzen ausmachen: Es sind einerseits die
Über-80-Jährigen und die Unter-50-Jährigen, die zahlenmäßig hervorstechen. Die
älteren Patienten kommen oft aus Pflegeheimen. Und wenn einer kommt, dauert es
nicht lange, bis weitere aus dem gleichen
Heim kommen. Zudem werden aus anderen Krankenhäusern ältere Patienten zu
uns gebracht, weil deren Behandlung mitunter sehr heikel ist. Insgesamt führt das
dazu, dass unsere Pflegekräfte sehr viel zu
tun haben. Denn ältere Menschen brauchen mehr Hilfe bei allem.
Schwester Pauline: Es wäre gut, wenn es
bei uns auf Station Tablets geben würde, mit
denen die Patienten Kontakt zu ihren Familien halten können. Eine Patientin musste
fünf Wochen bei uns sein, ehe sie entlassen
werden konnte.In diesenWochen stieg ihre
Verzweiflung über die Losgelöstheit von
der Familie dramatisch. Sie und auch ich
waren froh, als sie wieder in den Schoß der
Familie zurückkehren konnte. Fünf Wochen
können schon sehr lang werden.
Dr. Armin Frille: Auf mich warten täglich
Frau und Kind. Doch wenn ich in diesen
Wochen nach Hause komme, ist es nicht
nur spät am Abend, sondern ich bin auch
nicht mehr der allerbeste Entertainer. Dennoch akzeptiert die Familie, dass mein Beruf viel Zeit und Nerven kostet. Sogar das
Verschieben des Urlaubs wegen des gegenwärtigen Ansturms von Patienten wurde
mitgetragen. Da bin ich sehr froh und meinen Lieben sehr dankbar.
Schwester Pauline: Wir hatten einen Mann
bei uns, der später auf die Corona-Intensivstation verlegt werden musste. Dann kam seine
Frau als Patientin zu uns. Ihre größte Sorge
war, dass ihr Mann stirbt, ohne dass sie sich
noch einmal sehen können. Dann konnte sie
entlassen werden. Und eine Stunde bevor der
Krankentransport sie abholte, wurde ihr
Mann von der Intensiv- auf unsere Normalstation verlegt. Ich habe dafür gesorgt, dass sie
sich sehen und sprechen konnten. Für das
Paar, das schon über 80 Jahre alt ist, war dies
einer der glücklichsten Momente. Diese
Sehnsucht nach dem Partner, auch die nach
den Kindern, den Enkeln verstehe ich total.
Trotzdem ich jede Woche auf COVID-19 getestet werde und ziemlich sicher sein kann,
das Virus nicht zu verbreiten: Ich halte Abstand zu meinen Eltern und besuche meine
Oma nicht mehr. Und das schmerzt sehr,
denn das Telefon kann kein persönliches Gespräch, kein Drücken und Streicheln ersetzen.