Fortschritt dank Kleinschmidt und Heisenberg
Die Radiologie zählt zu den jüngeren medizinischen Fachgebieten. Denn während die Chirurgie schon vor tausenden Jahren praktiziert wurde, brauchte die Radiologie die Erfindung der Röntgenstrahlung, um starten zu können. Das war vor rund 120 Jahren: Wilhelm Conrad Röntgen sah am 8. November 1895 bei Experimenten zur Strahlendurchlässigkeit verschiedener Materialien das erste Röntgenbild der Welt flackern: sein eigenes Skelett. Dokumentiert als erste bleibende Röntgenaufnahme hat er dann aber doch lieber die Hand seiner Frau.
In den Anfängen der Radiologie wurde ausschließlich jene Strahlung verwendet, die Röntgen entdeckte und eigentlich X-Strahlung nannte. In Europa heißt sie Röntgenstrahlung,
und mit dieser gelang es 1927 dem Leipziger Professor Otto Kleinschmidt, bei einer Patientin die erste Mammografie der Welt anzufertigen. Es war der Beginn der hauptsächlich bei Tumorverdacht eingesetzten Mammografie, die in späteren Jahren für viele Gynäkologen und Chirurgen zur Routineuntersuchung vor einer Brustoperation wurde. Heutzutage wird sie auch erfolgreich als Vorsorgeuntersuchung eingesetzt.
„Diese Aufnahme von Kleinschmidt ist schon beachtlich“, sagt Prof. Dr. Thomas Kahn, ehemaliger Direktor der Klinik und Poliklinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Leipzig. „Denn mit einem normalen Röntgengerät, wie es damals verwendet wurde, ist es sehr schwer,Weichgewebe abzubilden.“ Die Aufnahme ist noch erhalten und weist aus heutiger Sicht eine eher eingeschränkte Qualität auf. Aber: In Leipzig wurde der Anfang für die bildgebende Untersuchung der weiblichen Brust gemacht. In den rund 90 Jahren, die seither verstrichen sind, wurden inzwischen spezielle Mammografie-Geräte entwickelt, mit denen der untersuchende Arzt kleine, nicht tastbare Gewebeformationen oder Mikrokalk erkennen kann.
„Heute ist die Technik sehr ausgefeilt“, so Prof. Kahn. „Wenn ich da beispielsweise an die Tomosynthese denke, bei der sich Röntgenröhre und Detektoren während der Aufnahme
bewegen, sodass Schichtaufnahmen erzeugt werden. Die daraus abgeleitete dreidimensionale Darstellung hat gegenüber der konventionellen Mammografie den Vorteil, dass Überlagerungseffekte reduziert werden. Damit sind Karzinome klarer zu erkennen, und falsch-positive Befunde sind eher zu vermeiden.“
Die Radiologie erhielt in Leipzig einen weiteren Aufschwung, als 1937 ein spezieller Lehrstuhl für „Chirurgische Radiologie“ eingerichtet wurde – als dritter in Deutschland nach Hamburg und Köln. Das Radiologische Institut wurde mit der Ausgliederung aus der Chirurgischen Klinik eine selbstständige Abteilung – der Vorläufer der heutigen Klinik und Poliklinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie. In den 30er-Jahren war Leipzig ein besonderer Anziehungspunkt für Physiker – denn hier lehrte Heisenberg. Mit nur 26 Jahren war Werner Heisenberg 1927 als Professor an die Universität Leipzig berufen worden, die er zu einem Zentrum der theoretischen Physik machte, insbesondere für Kernphysik. 1932 erhielt er den Nobelpreis für Physik.
Aufgrund des Rufs von Heisenberg promovierte und habilitierte ein gewisser Felix Bloch hier in der Messestadt. Der junge Physiker wurde 1931 Assistent bei Heisenberg. Nach der Machtübernahme der Nazis musste er wegen seiner jüdischen Herkunft Deutschland verlassen. 1946 entdeckte er die Kernspinresonanz, die Grundlage der Magnetresonanztomografie ist. 1952 erhielt Bloch dafür den Nobelpreis für Physik. „Im
Physikalischen Institut der Universität Leipzig herrschte nach der Entdeckung großes Interesse an der Magnetresonanz“, erzählt Prof. Kahn. „Und den beiden Leipziger Physikern Harry Pfeifer und Artur Lösche ist es zu verdanken, dass in unserer Stadt die
deutschlandweit ersten erfolgreichen Experimente zur Kernspinresonanzspektroskopie durchgeführt wurden.“
Die Anwendung und Weiterentwicklung der Magnetresonanz bildet heutzutage einen
wissenschaftlichen Schwerpunkt in den Fakultäten für Physik, Chemie und Medizin sowie im Max-Planck-Institut für Kognitions-und Neurowissenschaften. Dazu stehen Spektrometer bis zu 17,6 Tesla und Magnetresonanztomografen bis zu sieben Tesla sowie ein PET-MRT zur Verfügung. Die Aktivitäten werden im Zentrum für Magnetresonanz der Universität Leipzig gebündelt, dessen Direktor Prof. Dr. Thomas Kahn ist. In mehreren MR-Forschungsgebieten nimmt die Universität Leipzig international einen Spitzenplatz ein.
Geschichte der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie