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Diagnose: Sarkom

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​​​Welttag der Patientensicherheit​

Leipzig: Sie sind selten, aber immer bösartig – laut Deutscher Krebsgesellschaft wird etwa 5.000 Mal im Jahr die Diagnose Sarkom gestellt. Dabei handelt es sich um Tumore, die in bis zu 100 verschiedenen Varianten Bindegewebe, Muskulatur sowie Knochen befallen. Um sie richtig zu behandeln, ist eine zügig und exakt gestellte Diagnose wichtig. Wie diese gelingt, erzählen Prof. Georg Osterhoff, Leiter des Sarkomzentrums des UKL und Prof. Christian Kleber, stellvertretender geschäftsführender Direktor der Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie des UKL, im Gespräch mit Liebigstraße aktuell.

Liebigstraße aktuell: Bei der Vielzahl an Unterformen, die ein Sarkom haben kann, wie stellen Sie sicher, dass Sie die richtige diagnostizieren? 

Prof. Osterhoff: „Um ein Sarkom diagnostizieren zu können, braucht man eine Gewebeprobe, und bevor die entnommen wird, besprechen wir die Patient:innen in unse​rer multidisziplinären Turmorkonferenz, auch Tumorboard genannt. Da sitzen wir mit Kolleg:innen unter anderem aus den Bereichen Chirurgie, Onkologie, Strahlentherapie, Pathologie, Radiologie und Nuklearmedizin zusammen und besprechen die Art der Gewebeprobe: Entnehmen wir sie mit einer Nadel oder machen wir eine kleine Operation? Die Entscheidung darüber treffen wir im Team, und das gewährleistet, dass die korrekte Diagnose gestellt wird.“

Die Deutsche Krebsgesellschaft sieht vor, dass im Falle von Sarkomen die Gewebeprobe innerhalb von fünf Tagen nach Erstvorstellung einer Patientin oder eines Patienten in der Sprechstunde durchgeführt werden muss. Wie schaffen Sie es, diese Vorgabe einzuhalten?

Prof. Osterhoff: „Wir schaffen das, indem wir mit festgeschriebenen Diagnose-Pfaden arbeiten. Diese spiegeln sich unter anderem in unseren Abläufen wider. In der Folge stellen sich unsere Patient:innen meist mit einem MRT-Bild montags in unserer Sprechstunde vor. Dort wird eine Anamnese durchgeführt, ggf. machen wir auch weitere Bilder. Mit all diesen Informationen stellen wir sie tags darauf, am Dienstag, im Tumorboard des Sarkomzentrums vor, und spätestens am Mittwoch oder Donnerstag werden sie schon biopsiert.“   

​Stellt die Zeitvorgabe der Deutschen Krebsgesellschaft keinen Druck für Sie dar?

Prof. Kleber: „Die Vorgabe stellt keinen Zeitdruck für uns dar – im Gegenteil. Sie ist im Sinne der Patient:innen. Wenn es sie nicht gäbe, würden sie mitunter wohlmöglich ewig auf einen Termin für eine Gewebeprobeentnahme warten. Und so lange man nicht weiß, womit man es genau zu tun hat und wie man die Patientin oder den Patienten therapieren kann, wächst der Tumor weiter. Im schlimmsten Fall kann es sogar so sein, dass, wenn sich die Diagnose über mehrere Wochen oder Monate hin verzögert, die Betroffenen dann nicht mehr kurativ behandelt, d. h., geheilt werden können, sich Fernabsiedelungen oder Metastasen bilden oder irgendwelche Nerven oder Gefäße mit infiltriert sind, so dass man dann nur noch verstümmelnd operieren kann.“

Prof. Osterhoff: „Die Zeitvorgaben sind auch dahingehend wichtig, dass sie die Unsicherheit für die Patient:innen verkürzen. Zu wissen, dass da was ist, aber nicht zu wissen, was da ist, ist für die meisten schwerstens belastend.“ 

Wie geht es nach Entnahme der Gewebeprobe weiter mit der Diagnosestellung?

Prof. Osterhoff: „Die Abläufe im UKL sind so organisiert, dass die Patient:innen in der Woche nach ihrer Erstvorstellung erneut in der Tumorkonferenz vorgestellt werden. Da liegen die Ergebnisse aus der Pathologie meist schon vor, so dass man mindestens weiß, in welche Richtung der Fall geht: Ist der Tumor bösartig oder nicht? Haben wir es mit einem Sarkom zu tun, ja oder nein? Auf der Grundlage können wir die Therapie schon einleiten, selbst wenn wir zu dem Zeitpunkt vielleicht noch nicht genau sagen können, um welche der über 100 Sarkomarten es sich handelt.“

Prof. Kleber: „Wir hatten vor kurzem ein gutes Beispiel: Ein 19-jähriger Patienten kam mit einer Schwellung in der Leiste in die Notaufnahme. Er dachte, er hätte sich beim Sport verletzt und deshalb sei seine Leiste angeschwollen. In der Notaufnahme hat man ihn mit dem Verdacht auf ein Sarkom stationär aufgenommen. Am nächsten Morgen haben wir uns den Patienten angeschaut und innerhalb eines Tages zum CT und MRT geschickt. Ein Tag später wurde er biopsiert und noch einmal vier, fünf Tage später war klar, dass es sich um ein Osteosarkom, also um einen Knochentumor handelt. Eine Woche später hat der Patient mit der Chemotherapie begonnen. In dem Fall ist also alles optimal gelaufen, was für einen 19-Jährigen natürlich entscheidend ist.“ 

Wer trifft am Ende die Entscheidung über die Therapie?

Prof. Kleber: „Die Entscheidung treffen wir – wie schon bei der Diagnose – im Konsens mit den Kolleg:innen, mit denen wir auf unsere Fälle schauen. Manchmal streiten wir uns auch im Tumorboard – für die Patient:innen! Am Ende setzt sich der durch, der die besten Argumente hat. Da spielen auch Langzeitüberlebensraten und Vorerkrankungen eine Rolle: Der gleichen Tumor an derselben Stelle bei einem 20-Jährigen und einer 85-Jährigen kann zu einer ganz anderen Therapieentscheidung führen. Auch dafür ist es wichtig, unsere Fälle mit Kolleg:innen anderer Fachrichtungen zu besprechen.   

Welche weiteren Maßnahmen sind im Sarkomzentrum etabliert, um Diagnosesicherheit zu gewährleisten?

Prof. Osterhoff: „Neben standardisierten Abläufen und der interdisziplinären Zusammenarbeit haben wir regelmäßige Komplikationsbesprechungen etabliert. In unseren sogenannten 
Morbidity and Mortality-Konferenzen werden Fälle besprochen, bei denen eine Diagnose falsch war. Dabei geht es nicht darum, den Finger auf jemanden zu richten: Eine gute Komplikationsbesprechung stellt nicht fest, wer schuld ist, sondern sie stellt den Fehler im System fest, der dazu geführt hat, dass eine Fehldiagnose gestellt werden konnte. Eine Organisation muss so aufgebaut sein, dass es so viele Redundanzen und Kontrollen gibt, dass eine solche Fehldiagnose nicht passieren kann. Das ist unser Ziel.“​​