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Anorektale Malformationen beim Jungen

Anorektale Malformationen treten bei Jungen etwas häufiger als bei Mädchen auf.​

Erkrankung

​Wie bei allen Anorektalen Malformationen reicht das Krankheitsspektrum von gering bis komplex. Die häufigste Fehlbildung bei Jungen ist Analatresie mit einer Verbindung (Fistel) zur Harnröhre (rektobulbäre bzw. rektoprostatische Fistel).

 

Folgende ARM sind beim Jungen häufig und werden in unserem Zentrum behandelt:

  • Analatresie ohne Fistel: Der Dickdarm endet blind ohne Verbindung zur Haut oder einem anderen Organ.
  • Rektoperineale Fistel: Die Fistel mündet vor dem Analgrübchen in die Haut des Dammes, des Hodensacks oder des Penis (Abb.2).
  • Rektobulbäre und Rektoprostatische Fistel: Das Rektum mündet über eine Fistel in die obere oder untere Harnröhre (Abb. 3).
  • Blasenhalsfistel: Die Fistel verläuft vom Rektum in den Blasenhals (Abb. 4 + 6).
  • Rektumatresie und Rektumstenose: Die Analöffnung ist zwar normal, aber der Mastdarm ist unterbrochen, z.B. durch eine Membran oder durch einen fehlenden Darmabschnitt.

 

Beispiele: ARM beim Jungen

Abb. 1: Normale Anatomie des Jungen
Abb. 2: ARM mit rektoperinealer Fistel: Die Fistel mündet vor dem Analgrübchen (grüner Pfeil) in die Haut des Dammes (roter Pfeil), des Hodensacks oder des Penis.
Abb. 3: ARM mit rektouretraler Fistel
Links: Rektobulbäre Fistel: Das Rektum mündet über eine Fistel in die obere Harnröhre (roter Pfeil). Der Anus besteht nur aus einem kleinen Analgrübchen (grüner Pfeil).
Rechts: Rektoprostatische Fistel: Das Rektum mündet über eine Fistel in die untere Harnröhre (blauer Pfeil). Der Anus besteht nur aus einem kleinen Analgrübchen (grüner Pfeil).
Abb. 4: ARM mit rektovesikaler Fistel. Seltene Form (ca. 10%) der ARM beim Jungen. Die Fistel verläuft vom Rektum in den Blasenhals (roter Pfeil). Der Anus besteht nur aus einem kleinen Analgrübchen (grüner Pfeil).

(Bilder modifiziert aus: Ashcraft´s Pediatric Surgery, 5th Edition, Elsevier-Verlag, 2010)

Unser Behandlungskonzept

Die ersten Lebenstage und die erste Operation

In der Regel fällt noch in der Geburtsklinik das Fehlen des Anus bzw. die anorektale Fehlbildung auf. Von dort wird Ihr Kind dann zu uns überwiesen. Zunächst schauen wir Ihr Kind genau an und untersuchen die Region des Anus und des Dammes (Perineum). Neben dieser „Blickdiagnose" werden weitere Untersuchungen durchgeführt: Eine Ultraschalluntersuchung des Bauchraums, der Nieren und der Harnwege, des Herzens und des Rückenmarks; eine Urinuntersuchung; ggf. Röntgenaufnahmen von Bauch, Kreuz und Steißbein. Diese Untersuchungen sind wichtig, um sich ein Bild von der Form der anorektalen Fehlbildung zu machen.

Nach diesen ersten Untersuchungen können wir schon meist die Diagnose stellen und das weitere Vorgehen mit Ihnen besprechen. Wir bieten zudem allen Eltern die sehr gut geschriebenen Broschüren der Selbsthilfegruppe SOMA e.v. an, die das Thema „Anorektale Fehlbildung" ausführlich und laienverständlich erklären. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass diese in der Regel von den Eltern sehr dankbar aufgenommen werden und fundierte Informationen viele Ängste eher nehmen als verstärken.

Je nach Ausprägung und Art der Fehlbildung muss nur ein operativer Eingriff oder drei und mehr Operationen durchgeführt werden. Die erste Operation führen wir meist in den ersten Lebenstagen durch.

Hier finden Sie einige Beispiele.

Bei einigen Formen der ARM ist die vorübergehende Anlage eines künstlichen Darmausgangs notwendig. Der künstliche Darmausgang bleibt meist ein bis drei Monate bestehen. Während dieser Zeit kann Ihr Kind zu Hause versorgt werden. Wir organisieren für Sie noch vom UKL aus die häusliche Betreuung durch eine spezielle Kinder-Stoma-Therapeutin/Therapeuten, die Ihnen in der ersten Zeit zu Hause viele Fragen beantworten und hilfreiche Ratschläge für die Versorgung geben kann.

Typischer künstlicher Darmausgang (Anus praeter, Kolostoma)
Über einen Bauchschnitt wird der Dickdarm durchtrennt, die zwei Enden durch die Bauchdecke nach außen führt und in die Haut einnäht. Dieses Vorgehen ermöglicht dem Kind seinen Stuhl über das „zuführende Stoma" abzugeben, sich normal zu ernähren und zu gedeihen. Über das „abführende" Stoma kann mittels Kontrastmittel zu einem späteren Zeitpunkt bzw. vor der Durchzugsoperation die ARM genau klassifiziert werden (siehe „distales Kolostogramm"). (Modifiziert aus: Ashcraft´s Pediatric Surgery, 5th Edition, Elsevier-Verlag, 2010)

 

Durchzugsoperation (=eigentliche Wiederherstellung bzw. Bildung der analen Öffnung) in der Regel zweite Operation
Vor der eigentlichen Wiederherstellung bzw. Bildung der analen Öffnung (Durchzugsoperation) ist sehr wichtig, die Form der Fehlbildung genau zu klassifizieren. Dafür müssen gegebenenfalls weitere Untersuchungen erfolgen. Um die individuelle Anatomie Ihres Kindes genau zu verstehen, ggf. eine Verbindung der Fistel zum Harntrakt zu diagnostizieren und dann den richtigen operativen Zugang zu wählen ist eine spezielle Röntgenuntersuchung besonders wichtig, die man „distales Kolostogramm" nennt (Abb. 6+7).

Abb. 6: 3 Monate alter Junge mit Blasenhalsfistel. Die gestrichelte Linie markiert die Wirbelkörper des Kreuzbeins. Man erkennt, dass die Fistel OBERHALB des tiefsten Punkt des Kreuzbeins liegt und dieses daher bei einem operativen Zugang vom Gesäß aus („posterior sagittaler Zugang") dazwischen bzw. „im Weg" liegt. Daher stellt die ARM mit Blasenhalsfistel eine gute Indikation zur Laparoskopie dar.
Abb. 7: 4 Monate alter Junge mit Rektobulbärer Fistel. Die gestrichelte Linie markiert die Wirbelkörper des Kreuzbeins. Man erkennt, dass die Fistel UNTERHALB des tiefsten Punkt des Kreuzbeins liegt und diese daher über einem operativen Zugang vom Gesäß aus („posterior sagittaler Zugang") gut erreichbar ist. Daher stellen die Formen der ARM keine Indikation zur Laparoskopie dar.

 

Beim distalen Kolostogramm wird ein Kontrastmittel in den unteren Teil des künstlichen Darmausgangs („abführender Schenkel") eingebracht. Hierbei können wir sehen, wie weit der Abstand zwischen dem Enddarmblindsack und der eigentlichen Enddarmöffnung an der Haut ist, ob eine Fistel zum Harntrakt vorhanden ist und wie sie verläuft. Auch kann die Lage des Mastdarms (Rektums) in seiner Beziehung zum Kreuzbein (Os sacrum) bestimmt werden. Je höher das Rektum liegt, desto schwieriger ist es, dieses nur über einen operativen Zugang vom Gesäß aus ohne die Laparoskopie (s.u.) zu erreichen.

Bei der Durchzugsoperation, welche wir im ersten Lebensjahr (3. - 4. Lebensmonat bzw. 5 - 6kg Körpergewicht) durchführen, kommen in unserer Klinik zwei Verfahren zur Anwendung:

PSARP (posteriore sagittale anorektale Plastik)
Laparoskopisch assistierte Anorektoplastik (LAARP)

Nach dem Eingriff verbleibt Ihr Kind zunächst noch im Aufwachbereich, wo Sie jedoch bereits wieder am Bett sitzen können. Danach erfolgt die Verlegung auf die Normalstation. Wenige Stunden nach der Operation kann Ihr Kind meistens bereits wieder erste Nahrung zu sich nehmen. Wenn die Wunden verheilt sind, können Sie nach Hause entlassen werden. Sowohl für die erste Operation mit ggf. Anlage eines künstlichen Darmausgangs als auch für die Durchzugsoperation muss ein stationärer Aufenthalt von etwa 4 - 7 Tagen eingeplant werden.

Etwa 4 - 12 Wochen nach der Durchzugsoperation, wenn die Operationswunde gut verheilt ist und Ihr Kind durch Dehnungen (Bougierungen; siehe Kapitel: „Nachsorge") eine entsprechende Anusweite erreicht hat, wird der künstliche Ausgang nicht mehr gebraucht. Ihr Kind soll nun den Stuhl durch neuen After ausscheiden. Der künstliche Ausgang wird dann in einer weiteren (und in der Regel letzten) Operation verschlossen. Hierbei werden die nach außen geleiteten Darmenden aus der Haut ausgelöst, vor der Bauchdecke durch Nähte vereinigt, wieder unter der Bauchdecke verbracht und die Bauchdecke verschlossen. In den darauf folgenden Tagen beginnt Ihr Kind, Stuhl durch den neuen Darmausgang zu entleeren. Zu Beginn können die Stühle noch etwas flüssig sein und ein Wundsein im Windelbereich erzeugen. Es kann auch Wochen bis Monate dauern, bis der Stuhlgang weniger häufig erfolgt und seine Konsistenz fester wird. Die Bougierung des neuen Afters müssen auch nach Verschluss des künstlichen Ausgangs noch einige Zeit fortgeführt werden, um ein Schrumpfen der Narbe zu verhindern.

Nachbehandlung

Lebenslange Begleitung

Neben der Expertise zur chirurgischen Korrektur kolorektaler Erkrankungen besteht am UKL ein Programm zur Langzeitbetreuung. Hierdurch soll neben einem bestmöglichen funktionellen Ergebnis ein maximales Maß an Lebensqualität für die Patienten und deren Familien erreicht werden. Wir möchten die langfristige Anbindung vom ersten Tag bis zur Adoleszenz gewährleisten und Kindern und Eltern helfen, mit den Herausforderungen in der Pubertät und mit den zahlreich möglichen Problemen im Langzeitverlauf umzugehen.

Nach etwa zwei Wochen sieht der Operateur Sie in unserer Oberärztlichen Spezialsprechstunde für Anorektale Malformationen wieder. Beim ersten Abschnitt der Nachsorge wird die Analöffnung gedehnt. Hiermit möchten wir einer narbigen Enge des neu gebildeten Afters vorbeugen. Die erste Dehnung (Bougierung) erfolgt mit runden Metallstiften verschiedenen Durchmessers, den sogenannten Hegar-Stiften. Diese werden mit viel Gleitmittel (z.B. Vaseline) benetzt, in den After eingeführt und so die Narbe vorsichtig gedehnt. Der Durchmesser bzw. Größen der Hegar-Stifte werden über mehrere Wochen so lange erhöht, bis durchschnittlichen Aftergröße eines gleichaltrigen, gesunden Kindes erreicht ist. Diese Dehnungen werden zunächst täglich mit speziell angefertigten Kunststoff-Stöpseln fortgeführt, später aber in abnehmender Häufigkeit durchgeführt. Auch wenn sie insbesondere zu Beginn noch sehr unangenehm sein können sind Bougierungen sehr wichtig, um narbige Verengungen oder ein Verschluss des neugebildeten Afters zu verhindern. Eine einmal entstandene hochgradige Enge (Stenose) des Anus ist sehr schwierig zu behandeln und manchmal nur durch weitere Operationen zu korrigieren.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Durchführung der Bougierung für die meisten Eltern zunächst eine große Überwindung bedeutet. Nachdem wir Ihnen diesen Vorgang jedoch wiederholt ausführlich und mit viel Ruhe erklärt haben und Sie diese hier in unserer Klinik unter Anleitung durchgeführt haben, werden Sie das zu Hause in der Regel sehr gut schaffen. Wenn es jedoch irgendwelche Probleme gibt, sind wir telefonisch und auch in unserer Poliklinik jeden Tag für Sie da und stehen Ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Uns ist es wichtig, dass Sie sich nach der Operation nicht alleine gelassen fühlen und wir den manchmal schwierigen Weg gemeinsam gehen.

Veröffentlichungen unserer Mitarbeiter

Zwink N, Choinitzki V, Baudisch F, Hölscher A, Boemers TM, Turial S, Kurz R, Heydweiller A, Keppler K, Müller A, Bagci S, Pauly M, Brokmeier U, Leutner A, Degenhardt P, Schmiedeke E, Märzheuser S, Grasshoff-Derr S, Holland-Cunz S, Palta M, Schäfer M, Ure BM, Lacher M, Nöthen MM, Schumacher J, Jenetzky E, Reutter H. Comparison of environmental risk factors for esophageal atresia, anorectal malformations, and the combined phenotype in 263 German families. Dis Esophagus. 2015 Nov 6. 

Schmiedeke E, de Blaauw I, Lacher M, Grasshoff-Derr S, Garcia-Vazquez A, Giuliani S, Midrio P, Gamba P, Iacobelli B, Bagolan P, Brisighelli G, Leva E, Cretolle C, Sarnacki S, Broens P, Sloots C, van Rooij I, Schwarzer N, Aminoff D, Haanen M, Jenetzky E. Towards the perfect ARM center: the European Union'scriteria for centers of expertise and their implementation in the member states.  A report from the ARM-Net. Pediatr Surg Int. 2015 Aug;31(8):741-5.

Morandi A, Ure B, Leva E, Lacher M. Survey on the management of anorectal malformations (ARM) in European pediatric surgical centers of excellence. Pediatr Surg Int. 2015 Jun;31(6):543-50.   

van der Steeg HJ, Schmiedeke E, Bagolan P, Broens P, Demirogullari B,
Garcia-Vazquez A, Grasshoff-Derr S, Lacher M, Leva E, Makedonsky I, Sloots CE,
Schwarzer N, Aminoff D, Schipper M, Jenetzky E, van Rooij IA, Giuliani S,
Crétolle C, Holland Cunz S, Midrio P, de Blaauw I. European consensus meeting of
ARM-Net members concerning diagnosis and early management of newborns with
anorectal malformations. Tech Coloproctol. 2015 Mar;19(3):181-5

Dworschak GC, Draaken M, Hilger AC, Schramm C, Bartels E, Schmiedeke E,
Grasshoff-Derr S, Märzheuser S, Holland-Cunz S, Lacher M, Jenetzky E, Zwink N,
Schmidt D, Nöthen MM, Ludwig M, Reutter H. Genome-wide mapping of copynumber
variations in patients with both anorectal malformations and central nervous
system abnormalities. Birth Defects Res A Clin Mol Teratol. 2014 Sep 24

Zeidler C, Woelfle J, Draaken M, Mughal SS, Große G, Hilger AC, Dworschak GC,
Boemers TM, Jenetzky E, Zwink N, Lacher M, Schmidt D, Schmiedeke E,
Grasshoff-Derr S, Märzheuser S, Holland-Cunz S, Schäfer M, Bartels E, Keppler K,
Palta M, Leonhardt J, Kujath C, Rißmann A, Nöthen MM, Reutter H, Ludwig M.
Heterozygous FGF8 mutations in patients presenting cryptorchidism and multiple
VATER/VACTERL features without limb anomalies. Birth Defects Res A Clin Mol
Teratol. 2014 Oct;100(10):750-9

Lacher M, Kuebler JF, Dingemann J, Ure B. Minimal Invasive Surgery in the Newborn: Current Status and Evidence. Semin Pediatr Surg. 2014 Oct;23(5):249-56

Lacher M, Gosemann JH. Anorektale Malformationen, Monatsschr Kinderheilkd 2016 164:850–861 DOI 10.1007/s00112-016-0162-3

Kontakt

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