Die Distraktionsosteogenese ist ein Verfahren, dass zur Erzeugung neuen Knochens angewendet werden kann, wenn mit Hilfe der operativen Verfahren keine ausreichende Verlagerung der Kiefer möglich ist. Nach Durchtrennung des Knochens werden die beiden Teile gegeneinander fixiert und über Wochen langsam weiter auseinandergedehnt, wobei im Zwischenraum neuer Knochen gebildet wird.
Oberkiefer
Bei ausgedehnten Oberkieferrücklagen ist eine Kieferverlagerung in einem Schritt problematisch, da zum einen die Blutversorgung des zu verlagernden Kieferabschnittes gefährdet sein kann, zum anderen die Langzeitstabilität oft ungenügend ist. Bei Strecken über 10 mm wird deshalb die Distraktionsosteogenese erfolgreich eingesetzt. Hierbei wird der Kieferabschnitt in der Operation gelöst, jedoch nicht verlagert. Nach einer kurzen Ruhephase wird der Kiefer dann langsam (1 mm/Tag) nach vorne gezogen. Da hierzu eine stabile Verankerung notwendig ist, wird als Verankerung ein aus der Unfallchirurgie stammender Kopfbogen (Halobogen) eingesetzt. Nachdem die beabsichtigte Kieferlage erreicht ist, wird der Kopfbogen nach einer drei- bis achtwöchigen Ruhephase, während der die Verknöcherung erfolgt, wieder abgenommen. Für dieses Verfahren besteht an der Leipziger Klinik europaweit die größte Erfahrung.
Unterkiefer
Liegt der Unterkiefer zu weit zurück oder ist der aufsteigende Unterkieferast sehr stark verkürzt, so dass eine Verlagerung des Unterkiefers um die notwendige Distanz in einem Schritt nicht möglich ist, kommt ebenfalls das Verfahren der Kallusdistraktion zum Einsatz. Die Methode geht auf den russischen Chirurgen Gavril Abramowitsch Ilizarov zurück. Er entdeckte, dass nach Durchtrennung und schrittweiser Auseinanderdehnung (Distraktion) der Knochenenden, eine Knochenneubildung in dem entstandenen Zwischenraum auftritt.
Die Distraktion wird über eine Platte gesteuert in die eine Dehnschraube integriert ist, die langsam aufgedreht wird. Wenn die Unterkieferdistraktion nur in eine Richtung erfolgen muss, können sehr kleine Distraktoren verwandt werden, die innerhalb des Mundes liegen und äußerlich nicht sichtbar sind. Muss in mehrere Richtungen gleichzeitig distrahiert werden, wenn z. B. der aufsteigende Unterkieferast und der Unterkieferkörper beide stark verkürzt sind, müssen voluminösere multidirektionale Distraktoren verwandt werden. Diese liegen sichtbar außerhalb der Mundhöhle und sind über Metallpins, die durch die Wange geführt werden im Knochen verankert.
Bei dieser Form der Distraktion entstehen Hautnarben, die später häufig eine einfache Narbenkorrektur erforderlich machen. Der Knochenschnitt wird glatt im Kieferwinkelbereich des Unterkiefers unter Schonung des Unterkiefernervs (N. alveolaris inferior) angelegt und der Distraktor wird mit Schrauben beidseits der Osteotomielinie fixiert. Da die Verlagerung allmählich und nicht in einem Schritt erfolgt, ist bei der Kallusdistraktion weder ein Zielsplint noch eine starre Drahtverschnürung der Kiefer notwendig.
Der Knochen wird um 2 x 0,5 mm pro Tag gestreckt, bis die gewünschte Kieferlage erreicht ist. Mit Gummizügen erfolgt gleichzeitig eine sogenannte Kallusmodellation, d. h. der noch weiche, nicht mineralisierte Knochen wird in die Form gebracht, die zum Erreichen eines optimalen Zusammenbisses notwendig ist. Daran schließt sich eine Retentionsphase von einigen Wochen an, in der der noch weiche Knochen mineralisiert und fest wird. Ist dies geschehen, ist das Behandlungsergebnis stabil und die Distraktoren können in einer zweiten kleineren Operation wieder entfernt werden.
Auch beim Verfahren der Kallusdistraktion ist im Regelfall die oben geschilderte prä- und postoperative kieferorthopädische Behandlung notwendig.