Prof. Dr. Christoph-Eckhard Heyde: Der Mensch ist nicht dafür konstruiert, wie er heute mit Auto, Fahrstuhl und Computer lebt
„Viele Rückenbeschwerden haben einen ganz simplen Hintergrund: Der Mensch ist nicht dafür konstruiert, wie er heute lebt", sagt Prof. Dr. Christoph-Eckhard Heyde, Geschäftsführender Direktor der
Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie am Universitätsklinikum Leipzig. „Wir Ärzt:innen helfen gern. Aber ein Stück weit ist jeder für seine Gesundheit mitverantwortlich."
Rückenschmerzen sind heute ja schon eine Volkskrankheit. Warum haben es so viele „im Kreuz"?
Die Mehrzahl der Beschwerden resultiert aus funktionellen Störungen. Das heißt, dass Verspannungen oder Ungleichgewichte in der Muskulatur für Schmerzen sorgen. Ein Teil der Beschwerden entsteht allerdings auch durch Abnutzung und Osteoporose, also altersbedingte Prozesse. Andererseits ist der Mensch für ein aktives Leben konstruiert. Fehlendes Training der Muskulatur, ob durch zu viel Sitzen, Inaktivität, oder auch Übergewicht führt dazu, dass wir die Muskulatur, welche die Wirbelsäule trägt, nicht ausreichend trainieren und es dann zu Beschwerden kommen kann.
Also haben Rückenschmerzen mit den Lebens- und Ernährungsgewohnheiten zu tun und nichts mit den Jahren, die man auf dem Buckel hat?
Ja und nein. Natürlich summieren sich die Jahre, in denen man wenig aktiv war, oder vielleicht auch zu viel gegessen hat. Andererseits kann extreme Aktivität, wie im Extremsport, die Wirbelsäule überfordern. Ausgewogenheit ist auch hier zu empfehlen. Weiterhin bringen wir eine genetisch bedingte Veranlagung mit, d. h. einige Menschen bekommen eher, andere später degenerative Veränderungen. Allerdings kommen auch häufig Kinder und Jugendliche mit Schmerzen zu uns, die dann doch häufig mit der Lebensweise und dem Aktivitätsniveau zu begründen sind.
Apropos Geist: Können auch Stress oder Sorgen zu Rückenschmerzen führen?
Durchaus. Auf lange Sicht wirken seelische Belastungen auch auf den Körper. Denn sie beeinflussen unter anderem die Grundspannung der Muskeln. Man sagt ja auch, dass die Wirbelsäule die Seele zeigt. Oder anders: An der Haltung des Körpers wird oftmals deutlich, wie es um die psychische Befindlichkeit des Menschen bestellt ist.
Das heißt: Wenn der Rücken schmerzt, ist nicht gleich ein orthopädischer Eingriff nötig?
Keinesfalls. Denn erst einmal muss der Arzt herausfinden, wodurch die Schmerzen verursacht werden. Da ist nicht immer eine riesige Diagnostik mit folgender komplexer Therapie nötig. Denn vieles lässt sich schon im Gespräch und bei der körperlichen Untersuchung herausfinden. Oftmals sind die Krankengymnastik und sportliche Aktivität, auch unter Anleitung, die beste Medizin. Was nichts anderes heißt als: Bewegung und Aktivität sind die besten Möglichkeiten, sich vor Rückenschmerzen zu schützen. Natürlich helfen wir Ärzt:innen gern, wenn Patient:innen Beschwerden haben. Aber ein Stück weit ist jeder für seine Gesundheit durchaus mitverantwortlich.
Was halten Sie eigentlich von Osteopathie und Chiropraktik?
Die Manuelle Medizin (auch Chiropraktik genannt) halte ich für eine echte Bereicherung, vor allem um Beschwerden an der Wirbelsäule besser diagnostizieren zu können. Ich dringe an unserer Klinik darauf, dass alle Kollegin:innen die Manuelle Medizin, für die es klare Ausbildungsrichtlinien gibt, beherrscht. Denn damit lassen sich die häufigen funktionellen Störungen sehr gut diagnostizieren und behandeln. Osteopathie ist eine sehr komplexe Lehre, die den Menschen ganzheitlich betrachtet und eine sehr gute konservative Ergänzung des Diagnose- und Therapiespektrums ist. Aber alle diese Verfahren haben natürlich auch ihre Grenzen.
In: Gesundheitsmagazin "Liebigstraße aktuell" 05/22 (PDF). Eine Übersicht aller Gesundheitsmagazine finden Sie hier.